Die Skulptur HAL bildet eine Verschmelzung von natürlichen und künstlichen Elementen und stellt die Grenzen zwischen Mensch und Umwelt und innerem und äußerem Raum her, aber sie bietet sich auch als Ort an. Mit HAL 9000, der KI im Kubricks Film „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) wird das Zusammenspiel unserer erlernten Fähigkeiten deutlich. Die KI wird zur Bedrohung und wird uns im Filmverlauf immer ähnlicher und wird zu einer hoch entwickelten und empfindungsfähigen künstlichen Intelligenz. Sie wird vernichtet und mit in einer Diskrepanz von Bedauern und Konflikt endet der bildgewaltige Film. In einem nicht unähnlichen Konflikt, von stetig steigender Oberflächlichkeit und Selbstoptimierung unserer Gesellschaft umgeben, führt es mich gerade deshalb zu Verbindungen von tief liegenden inneren wie äußeren Schichten.
Ich versuche mit minimalen Mitteln absoluten Ausdruck zu erzeugen. Der Boden als Skulptur, die Abformung von Erdlöchern in den Dimensionen meiner vitruvianischen Ausmaße, führt mich zu einer Erfahrung: Die mentalen Anknüpfungen finden sich und nicht die physischen. Meine Hand stützt sich im Loch ab und die Erdhöhle umfasst den Arm. Mein Körper liegt am Boden und ich fühle, wie sich alles in Volumen und Hülle verbindet. Der Raum ist Positivform und Negativform zugleich und dabei wird die Luft als Materie spürbar.
Generell entstehen in der ganz entscheidenden Übertragung meiner Handlungen, externalisierte Darstellungen internalisierter Bilder. Bei diesen Bildern geht es um alles Menschliche: Physische Verortung, Innen und Außen in eine wahrnehmbare Verbindung führen, Angst, Schutzmechanismen, das Einordnen von Gefühlen, Begegnung und Kommunikation, Tod und Lebendigkeit, Vergangenheit und Wunschdenken, Häutungen und Stabilität, das Formen von Leichtigkeit... Ausgehend von meinem aber auch unserem Gleichgewichtsgespür, äußert die Skulpturengruppe räumlich wieder einen Anspruch von Balance/ Dysbalance. Ich forme mit ihnen einen Ort und es scheint, dass ich dabei mit mir selbst expandiere. Verbunden und geweitet lässt sich dieser Ort durchschreiten.
(Claudia Mann 2023)
GEHEN UND KOMMEN
Auf die Frage, was Skulptur sei, legt die 1982 in Wuppertal geborene Bildhauerin Claudia Mann fest: ‚Skulptur ist Boden‘. Der Boden bildet den Ausgangspunkt ihres bildhauerischen Konzepts, welches sie kontinuierlich weiterentwickelt. Claudia Mann führen ihre Gedanken über den Boden weiter, hin zu der Überlegung, dass wir Menschen aufrecht in ständiger Balance zu diesem und Berührung mit diesem stehen. Da ein Objekt drei Standpunkte braucht, um fest zu stehen, wir Menschen aber nur zwei Beine haben, bildet nach Überlegungen Manns das im Kopf befindliche Gleichgewichtsorgan das ‚dritte Standbein‘. Sie spielt für den Moment den Knotenpunkt unseres Körpers, die Hüfte, aus und widmet sich einem Parameter, der mit einem Gefühl zu tun hat und nicht messbar sein muss. Indem wir uns ständig austarieren, schaffen wir die nötige innere und äußere Stabilität, um eine gute Standfestigkeit auf dem Boden zu wahren.
Das Prinzip der Balance und der Bewegung stellt somit trotz der Starrheit der Materialien in Manns Werken ein Grundprinzip künstlerischen Schaffens dar; so zeigen ihre Werke alle Resultate vorhergehender Handlungen auf.
Für ihre Ausstellung GEHEN UND KOMMEN hat Claudia Mann vor Ort für den Projektraum SP A C E D OU T auf dem Gut Kerkow über mehrere Monate hinweg das Werk HAL (Head, Arm, Leg) produziert. Für HAL hat die Künstlerin selbst drei Löcher in die Uckermärker Erde auf dem Gut Kerkow gegraben, diese mit Wachs abgeformt und als Aluminiumgüsse in eine beständige Form übertragen. Die drei Erdlöcher folgen dem Prinzip, in diesen gerade eben ihre eigenen drei Körperteile Kopf, Arm und Bein (HAL = Head, Arm, Leg) versenken zu können - die drei Körperteile, die maßgeblich für die Balance und Standfestigkeit auf dem Boden verantwortlich sind. Das Versenken und Prüfen des jeweiligen Raumes im Erdreich lässt sich vom Rest des Körpers nicht emanzipieren, sondern ist ein enorm wichtiger Parameter für das Zusammenspiel aller Teile in einem System; so ist für „Leg“ nicht nur ein Bein sondern auch das andere Bein und auch der dazugehörige Körper um das Loch herum zu arrangieren.
Sie beschreibt, dass sich der Raum um sie in ihr Wahrnehmungsfeld verschiebt. Je länger sie bleibt, desto mehr kann sie im Erdreich wahrnehmen und wird sensibler. Die Bäume über ihr werden zu einer Art Dach und umfassen sie, wenn sie in den Prozess des „Aneignens“ gerät. Der Standort wird ab diesem Moment ein Ort und beginnt sich zu festigen und sie selbst spürt ihre eigene Anwesenheit als Teil des Ganzen.
Sabine Schmidt